In den frühen Morgenstunden werde ich wach. Ich höre neben mir, wie jemand die letzten Sachen zusammenpackt. Ryan ist offenbar schon länger wach. Ich habe noch keine Lust aufzustehen, mache kurz drauf dann aber doch mein Zelt auf. Gerade noch sehe ich Ryan, wie er von unserer Zeltwiese herunterfährt. Es ist 6 Uhr. Ich stehe jetzt auch auf. Erst einmal zu den „Servicegebäuden“, das Bier von gestern „entsorgen“. Ich komme wieder aus dem Gebäude, gucke in Richtung Straße und sehe dort einen Radfahrer. Es ist Ryan. Er orientiert sich offenbar noch, macht sich seine Musik auf die Ohren. Er ist einer dieser Musik-Fahrer. Etwas, das ich nie verstehen werde. In Berlin wäre es mir viel zu gefährlich mit Kopfhörern, in der Natur möchte ich die Natur wahrnehmen.
Ich überlege kurz, gehe dann zu ihm. Kurz reden wir miteinander, dann verabschieden wir uns und wünschen uns eine gute Fahrt. Ich gehe zurück zu meinem Zelt und beginne mit dem Abbau. 6.45 Uhr sitze ich auf dem Rad. Die Sonne ist schon ziemlich kräftig für diese Uhrzeit, aber es ist ja auch eine Woche vor Mittsommer. Ich fahre weiter Richtung Osten, erste Station Ystad. Unterwegs mache ich an einem meiner Lieblingsplätze an der Küste von Skane bzw. Schonen Station. Direkt am Strand in den Dünen steht ein Gartentisch mit zwei Stühlen, daneben alte Boote und das ganze direkt an der Straße. Ein toller Ort für eine Pause. Corny und Banane müssen dran glauben. Weiter gehts nach Ystad. Unterwegs fällt mir ein Wohnmobil mit Parchimer Kennzeichen auf. In Ystad sehe ich es wieder, es steht am Straßenrand.
8 Uhr, Ystad schläft noch
Um 8 Uhr erreiche ich Ystad. Noch fast alle Geschäfte haben geschlossen, die Stadt ist wie ausgestorben. Am Ende der Einkaufsstraße finde ich einen kleinen Bäcker. Er hat den Namen Bäcker noch verdient. Ich kann den Bäckern beim Teig kneten und beim Backen zusehen. Und es schmeckt unglaublich gut. Handarbeit wie sie sein sollte, großartig. Weiter geht es die Straße 9 entlang, auch mal über den Sverigeleden als Fernradweg, später auf eigene Faust. Ich möchte den südöstlichen Zipfel Schwedens mitnehmen. Nach einigen Waldwegen komme ich, Richtung Süden fahrend, in die erste etwas hügeligeren Gebiete. Wieder überholt mich das Parchimer Wohnmobil. Mein Ziel ist „Ales Stenar“ in Kungsbacka. Eine Art Stonehenge in Schweden. Nur zu Fuß komme ich dort hin, die letzten paar hundert Meter sind für alle anderen Verkehrsmittel gesperrt und wären auch mit dem Rad kaum machbar, so steil geht es hoch. Es ist 10 Uhr.
Vor den Steinen steht ein Ehepaar, sie fotografieren sich gegenseitig und sprechen deutsch. Ich spreche sie an. Es stellt sich heraus, dass wir uns kennen. Wenn auch nur vom Sehen. Es sind die Insassen des Parchimer Wohnmobils. Auch sie hatten mich registriert, so wie ich sie. Sie wollen in etwa die gleiche Strecke durch Schweden fahren, die mir vorschwebt. Allerdings mit dem Wohnmobil. Nach einigen Minuten verabschieden wir uns und ich gehe wieder zu meinem Fahrrad zurück.
Spontanes „Fika“ am Vormittag
Die ersten strammen Hügel, über die ich auch fahren muss, schmücken meinen Weg. Aber es ist ja gerade mal Tag 2, kein Problem also. Plötzlich bemerke ich links neben mir einen Rennradfahrer. Ich denke, er will mich überholen. Doch weit gefehlt. Er klemmt sich neben mich, spricht mich an. Zuerst auf schwedisch, ich antworte mit einem der wenigen Sätze, die ich schwedisch spreche, dass ich aus Deutschland komme. Daraufhin entgegnet er mir auf deutsch. Hakan war vor einigen Jahren mal in Deutschland für eine Weile zum Studieren erklärt er mir. Letztlich sprechen wir auf Englisch weiter miteinander. Er war mit seiner Frau, die einige hundert Meter hinter uns ist, bei einem Öko-Bauern einkaufen.
Einige Kilometer fahren wir zusammen, dann sind wir fast bei ihm. Spontan lädt er mich zu einem „Fika“ ein. Was in deutschen Ohren unanständig klingt ist eine Art zweites Frühstück. Gerne nehme ich die Einladung an, wir biegen von der Straße ab und sind schon fast bei ihm. Er bringt sein Rad in die Garage, in dem Moment kommt seine Frau auf den Hof geradelt. Ich stelle mich vor, erkläre ihr, dass ihr Mann mich eingeladen hat. Sie reagiert sofort sehr freundlich und wir gehen zu dritt ins Haus. Dort kochen sie mir einen Kaffee, backen Brötchen auf, schneiden mir Gemüse.
Hakan zeigte mir Haus und Hof während seine Frau weiter das Frühstück vorbereitet. Gemeinsam setzen wir uns anschließend auf die Terrasse und sprechen miteinander. Immer wieder wirft er seine ihm noch bekannten deutschen Wörter ein, ich meine schwedischen, die meiste Zeit sprechen wir aber Englisch. Der Misch der Sprachen macht die Unterhaltung zu dem, was sie ist: Eine tolle Begegnung. Mehr als eine Stunde bleibe ich bei den beiden, wir tauschten uns über Radfahrten und Touren aus. Die beiden planen, irgendwann zusammen von Kopenhagen nach Berlin zu radeln und ich habe ihnen einige Tipps für die Strecke gegeben, soweit ich sie kenne.
Nach etwa einer Stunde mache ich mich dann wieder auf den Weg. Zu weit ist die Strecke, die ich diesen Tag noch fahren will. Außerdem will ich die spontane Gastfreundschaft nicht überstrapazieren. Mit einem enorm positiven Gefühl radel ich weiter. Das war definitiv ein Auftakt nach Maß. In meinem täglichen Blog schrieb ich damals am Abend „Hakan, you made my day“. Heute kann ich sagen, dass es nicht nur der Tag war, sondern eigentlich eines der schönsten Erlebnisse der ganzen Tour – zumal es ganz am Anfang war.
Ich folge der Strecke weiter nach Osten, immer die (langweilige) Hauptstraße entlang. Erst in Simrishamn komme ich wieder unter Menschen – es wird aber auch wieder hügeliger. Der Weg wird deutlich beschwerlicher. Teilweise geht es – so habe ich es mir in meinem Notizbuch aufgeschrieben – 100 Meter hoch, obwohl die Küste in Sichtweite ist. Ob es wirklich 100 Meter sind, weiß ich nicht. Gefühlt in jedem Fall. Mit Blick auf die Ostsee fahre ich an einer Stelle downhill den schnellsten Abschnitt meiner Tour – an die 50 km/h. Schneller darf es auch mit dem Gepäck nicht werden, das Rad fängt hier an zu schlingern.
Erstes Gewitter auf meiner Tour
Die Strecke bleibt hügelig, die ersten sehr undankbaren Waldwege kommen dazu. Ich merke, dass ich müde und unzufriedener werde. Außerdem weiß ich, dass mein Zelt noch nass ist von der vorhergehenden Nacht, ich sollte also nicht zu spät das Zelt aufbauen, wenn es noch trocknen soll. Doch damit nicht genug: Es zieht auch Regen auf. Ich weiß, dass ich meinen geplanten Campingplatz nicht schaffen werden, suche mir einen anderen. Doch der hat zu und sieht auch nicht besonders freundlich aus. Ich fahre weiter, versuche nun doch, meinen eigentlichen Platz in Ahus zu erreichen. Durch schier unendliche kleine Waldstraßen fahre ich über einen Fußgängerüberweg, blicke nach links und sehe einige Campingwagen. Ist das ein privater Platz oder ein öffentlicher Campingplatz? Das frage ich ein Ehepaar, dass mir beim Gassigehen mit dem Hund begegnet. „Das ist unser Platz“, sagen sie mir. Wir einigen uns auf einen Preis, sie beschreiben mir, wo ich mein Zelt aufbauen darf und ich fahre vor, baue schnell mein Zelt auf. Denn es kommt nicht nur Regen, es kommt ein Gewitter.
Mein Glück: Der Campingplatz hat in der Mitte des Platzes eine kleine Grillhütte. Sie ist rundum geschlossen und ich habe mich, nachdem mein Zelt stand, hierhin gesetzt, gegessen und meine noch aus Deutschland mitgebrachte Zeitung gelesen. Auch die Strecke für den nächsten Tag kann man sich in einem solchen Umfeld ansehen bevor es dann nach dem Regenschauer in den Schlafsack geht.
15. Juni: 128 km, 6.45 Uhr Abfahrt, 18.15 Uhr Ankunft
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Touren-Tagebuch: 13 Tage durch Schweden Juni 2013
Tag 1: Tourauftakt
Tag 2: Ystad und eine Einladung
Tag 3: Regenschauer und Umwege
Tag 4: Hügel, Växjo und Sverigeleden
Tag 5: Smaland: Besuch bei Michel
Tag 6: Nördlichster Punkt: Askersund
Tag 7: 90 Kilometer Einsamkeit
Tag 8: Day Off: Mittsommer
Tag 9: Gegenwind und Regen: Abbruch?
Tag 10: Auf nach Süden: Göteborg
Tag 11: Ostseeküste und Halmstad
Tag 12: 175 Kilometer Flucht vor Regen
Tag 13: Zurück in Deutschland
3549 m Anstiege? Schlägt dein GPS da nicht etwas zu stark aus? Und minimal 23 hast du wohl auch eher nicht geschafft. Bei Google Earth gibt’s ne Option „angleichen auf Bodenhöhe“ oder so, das kann sowas vielleicht mal bissel realistischer machen ;)
Ja, tut es. Ich glaub, die Höhenmeter werde ich auch noch wieder ausschalten. Ich bin aber froh, die Tracks zusammen zu haben. Mein Handy hat auch auf der Tour mal wieder gesponnen. Kennst meine Probleme da ja…
> Musik auf die Ohren
Das hat wohl was damit zu tun das jetzt jeder immer und überall Musik braucht.
Seit ich ordentliche Kopfhörer hab (kein In-Ear-mistdinger) mach ich das auch mal. Insbesondere wenn ich eher langweilig „all-out“ auf dem Tempelhofer Feld Runden zu fahren. Mein ganz subjektiver Eindruck sagt mir das ich dabei mit richtigen Metal-Brettern mehr raus holen bzw. Erschöpfung besser ignorieren. Das zeug macht halt aggressiv und das hilft dabei den Körper bei 100% Leistung zu halten.
Auf Langstrecken kann ich mir das aber nicht vorstellen da das doch Energie kostet und diese nicht so effizient genutzt wird. Es sei denn natürlich man kann 8 Stunden fahren und fühlt sich immer noch frisch, dann lohnt es sich in den 8 Stunden mehr einzusetzen um mehr Kilometer rauszuholen.
Die Sache mit der Musik hängt wahrscheinlich auch mit irgendwelchen Botenstoffen zusammen. Wenn man irgendwas auf Leben und Tod macht kann der Körper idr. ja irgendwie auch mehr Leistung bringen als Normal (sozusagen auf 110%, oder mehr, gehen). Natürlich ist das mit dem Metal kein Leben und Tod aber wahrscheinlich sind die Effekt durch diese Aggressivität ähnlich?
Ich habe für mich jedenfalls ‚entdeckt‘ das ich mit einem ‚Kampfschrei‘ zum richtigen Zeitpunkt, nämlich an der Leistungsgrenze, diese nochmal für wenigen Sekunden steigern kann. Danach gibt es dann aber ein Loch (irgendwann muss sich der Körper ja erholen) – daher wie gesagt in meinen Augen nichts für Langstrecken.
(Bsp. letzte Jahr Sommer am Schäferberg: Tempo 30+ Puls ~185 mit Boost als Spitze 41 mit Puls 194, achja am Anstieg natürlich)